Kurzgeschichten

(150 Wörter)

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Die nächtliche Verführung

Der dritte Platz beim Wettbewerb

der Autoren und Dichterschmiede

Dezember 2018

»Die Tür öffnete sich zaghaft ...«

Peter zog sie auf, zuerst nur einen kleinen Spalt. Er zögerte kurz. Seine Irene hatte einen leichten Schlaf. Er befürchtete, sie könnte den Lichtschein bemerken, oder das satte Geräusch hören, das die Tür immer beim Schließen von sich gab. Schon das Quietschen des Bettes beim Aufstehen hätte sie wecken können, aber seine Frau hatte sich nur kurz auf die andere Seite gedreht und gleichmäßig weitergeatmet. Sie schlummerte. Eigentlich hatte er ja keine Geheimnisse vor ihr, aber heute konnte er sich nicht zurückhalten, schließlich war er extra mitten in der Nacht auf-gestanden. Zu verführerisch wähnte er das, was ihn hinter dieser Tür erwartete. Kurzentschlossen zog er
die Tür nun ganz auf und da strahlte sie ihn an, die herrliche Schwarzwälder Kirschtorte, die der Besuch übrig gelassen hatte. Eigentlich hatte er Irene versprochen, seine Diät strikt einzuhalten, aber so ein winziges Stückchen würde ihr sicher nicht auffallen.

 

 

Das hat er nicht gewollt.

 

»Er rannte zurück zum Schauplatz ...«

nachdem er auf der verzweifelten Suche nach einer Lösung durch die Stadt gezogen war. Alles vergebens, nun war es ganz bestimmt zu spät. Was, wenn man entdecken würde, was er getan hatte? Er mochte es sich nicht vorstellen. Gähnende Leere empfing ihn, wo vor etwa zwei Stunden das Unglück geschehen war. Michael zwickte sich in den Arm. Es war kein böser Traum. Sie lag noch genauso da, wie er sie verlassen hatte. Zum Glück wurde sie in der Zwischenzeit nicht entdeckt. Warum ist er nur so kopflos davon gelaufen? Er hätte sie sofort beseitigen müssen. Michael zwang sich zur Ruhe und dachte nach. Ihm fiel der Bauschuttcontainer in der Nachbarschaft ein. Er nahm einen Plastiksack und es gelang ihm, sie unentdeckt dorthin zu bringen. Nun musste ihm noch unbedingt eine Erklärung für ihr Fehlen einfallen. Seine Schwiegermutter wird ganz bestimmt nach der teuren Mingvase fragen.

 

 

Unwillkommene Dame

 

»Erleichtert holte sie Luft....«

Endlich, Regen! Diese Hitze und der groß angekündigte Besuch jener Dame hatten Margots Vorfreude auf den Urlaub in ihrem heißgeliebten Garten getrübt. Das grüne Fleckchen Erde ist ihr ganzer Stolz und der Regen heute ist für den trockenen Boden tatsächlich ein wahrer Segen. Die Anpflanzungen versprechen eine prächtige Ernte. „Diese Frau soll doch bleiben wo der Pfeffer wächst, aber dort ist sie sicher auch nicht willkommen.“ hatte Margot zu ihrer Freundin Betty gesagt. „Ja, die hat wirklich niemand eingeladen. Meine Blumen hätten sie auch nicht willkommen geheißen. Aber wir können uns entspannen. Ich kann dir eine schöne Nachricht überbringen: Der Wetterbericht sagt für die nächsten Tage, nicht nur zu meiner Freude, ausgiebigen Regen voraus.“ sagte Betty. Nun kann Margot beruhgt ihrem Urlaub entgegensehen und muss nicht mehr länger um ihren Garten bangen. Ihr Einsatz wird belohnt, denn die angekündigte „LANGE DÜRRE“ wird sie jetzt erfreulicherweise verschonen.

 

 

Kindergeschichten

 

 

Kriemhild die Nacktschnecke

„Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich, bin auch ich…, tönte es aus dem Gartenbeet. Pitter die Weinbergschnecke konnte hören, wie wunderbar dieses Lied klang.

Mancher hätte sich darüber gewundert, denn keine Schnecke kann hören oder sprechen, geschweige denn singen. Aber Kriemhild konnte singen, und zwar so schön, dass alle Tiere im Garten innehielten und ihre Lauscher aufstellten. Das Eichhörnchen Rudi blieb abrupt stehen und ließ seine Haselnuss fallen, die er soeben zwischen seine beiden Pfötchen geklemmt hatte. Rudi vergaß alles um sich herum und bekam große Augen, als er entdeckte, wer da so wunderschön sang. Er rieb sich die Äuglein und kniff sich in den Po. Nein, er träumte nicht. Diese Nacktschnecke da, die eigentlich nicht singen können sollte, sang aus voller Kehle.  Ja, ja, sie war eine ganz besondere Schnecke.
Kein Wunder also, dass Pitter sich unsterblich in dieses außergewöhnliche Wesen verliebt hatte.
Er sah, wie Rudi mit offenem Mäulchen und großen staunenden Augen in eine Richtung blickte. Pitter folgte diesem Blick und da entdeckte er Kriemhild, (der) die sich entschieden hatte, für einen Monat ihren Mädchennamen zu tragen, denn auch sie war männlich und weiblich wie alle Schnecken. Sie war ein sehr hübsches Schneckchen,- rotbraun und nicht so, wie sie es in ihrem Lied beschrieben hatte. Pitter war so verliebt wie noch nie. Wie schade, dass seine Traumfrau so gar nichts besaß. Eine Frau ohne Haus würden seine Eltern nicht akzeptieren. Kriemhild war beinahe so arm, wie die Kirchenmaus Lisa, die immer auf der Suche nach etwas Essbarem war. Lisa hatte wenigstens ihren Pelz. Kriemhild aber, die arme, hatte keinen Pelz und noch nicht einmal ein Kleidchen. Sie war nackt. Sie hatte auch kein Haus. Aber zu essen fand sie immer etwas. Schließlich war der Gemüsegarten der Meiers riesengroß. Es wäre besser gewesen, wenn Kriemhild nicht in der Lage gewesen wäre zu hören. Frau Meier schimpfte nämlich fast täglich über den Verlust ihrer Gemüse und Salatpflanzen. Über Nacht hatte sich nicht nur Kriemhild daran gütlich getan. Auch ihre große Verwandtschaft erfreute sich an dem großen Angebot.


Eine Nacktschnecke, sagen die Menschen, braucht kein Haus und kein Fell und auch kein Kleidchen. Sie ist genau so, wie sie sein soll und muss genau so leben. Das ist ihre Natur.
Nacktschnecken finden Schutz unter der Erde oder im Gehölz. Sie sind ja auch viel beweglicher ohne die Last eines Hauses. Kriemhild verstand Pitter nicht. Sie würde nicht gerne ständig so ein Ding mit sich herumtragen. Aber manchmal dachte sie: Es wäre sehr schön, wenn ich mich so richtig nah an Pitter kuscheln könnte. Immer ist dieses doofe Haus im Weg und für zwei ist es viel zu klein.
Pitter aber liebte es und dachte bei sich: Ich habe ein Haus, in das ich mich zurückziehen kann und werde mir für die arme Kriemhild etwas einfallen lassen. Ganz bestimmt würde sie sich auch freuen, nicht mehr so ungeschützt und obdachlos sein zu müssen. Leider ist mein Haus zu klein für zwei. Trotzdem, für Kriemhildchen würde ich Platz machen.
Pitter zog sich ins Haus zurück und dachte angestrengt nach. Es musste irgendeine Lösung her. Aber so sehr er auch nachdachte, es wollte ihm nichts Rechtes einfallen. Trübsinnig schlich er so vor sich hin und wie er so sinnlos umherirrte, bemerkte er, dass er vor den Stufen der Kirche angelangt war. Na ja,- vielleicht hilft ja beten, dachte er und machte sich daran, die Stufen zu überwinden. Nach zwei Tagen stand er endlich vor der schweren, alten Kirchentür und ein großes Loch an der unteren Kante lud ihn ein, hinein zu kriechen. In der Kirche war es so dunkel, dass Pitter zuerst einmal seine Äuglein richten musste. Er wackelte ein paar mal mit den Fühlern und merkte, dass sich sein Blick schärfte. Erschöpft verharrte er am Eingang. Der lange, ungewohnte Weg hatte ihn sehr angestrengt. Aber er musste sich zusammenreißen. Schließlich wollte er ja Kriemhildchen helfen. Und so fing er an zu beten: „Lieber Gott, wie kann ich Kriemhildchen nur helfen? Ein Pelz oder auch nur ein Kleidchen würden genügen."
Das hörte Lisa, die Kirchenmaus und meinte: "Ich weiß, Du kannst mich nicht hören.“ Sie versuchte, sich mit Zeichensprache verständlich zu machen.
Lisa war sehr arm und immer auf der Suche nach Essbarem. In der Kirche fand sie aber nichts. Sie wäre mit ihrer Familie längst verhungert, wenn, ja wenn nicht manchmal der Pastor vergessen würde, die Tür zur Sakristei zu schließen.
Dennis der Messdiener brachte immer sein doppelt belegtes Käsebrot und manche andere Schmauserei mit. Er hatte ständig Hunger und manchmal, wenn man ihn so ansah, konnte man denken, er würde etwas sagen.
Aber bei genauerem Hinsehen stellte man fest, dass er kaute. Er kaute pausenlos.
Lisa bediente sich regelmäßig an Dennis Proviant. Sie war sehr, sehr froh, dass es Dennis gab.

Als Pitter Lisa entdeckte, erschrak er sehr. „Eine Maus!“, rief er in Panik. „Oh lieber Gott hilf mir. Sie wird mich fressen. Ich bin verloren. Oh, oje mine!“ jammerte er und versteckte sich zitternd in seinem Haus. Er streckte vorsichtig seine Fühler ein Stückchen hinaus und beobachtete Lisa ängstlich. Lisa klopfte sanft am Haus und lächelte freundlich. "Komm heraus! Ich habe zwar immer Hunger, aber mein Magen ist sehr verwöhnt. Dich werde ich nicht verspeisen. Außerdem tut mir zu viel Kalk nicht gut. Ich mag Käse, Speck und Nussnougatcreme. Schließlich bin ich keine gewöhnliche Maus. Das Leben hat mich wählerisch gemacht.
Ich heiße Lisa und Du? Kannst Du nicht sprechen?"
„Dooch, aber das weiß niemand“. flüsterte Pitter. Normalerweise sprechen Schnecken nicht.
Dass ich das kann, musst Du für Dich behalten, ja?“ Lisa nickte und fragte noch einmal:
„Wie heißt Du denn jetzt?" „Sag Pitter zu mir." sagte Pitter
„Also, meinte sie, ich will versuchen, Dir zu helfen. Irgendetwas wird mir einfallen. Ich bin nämlich ungeheuer klug. Das sagt auch Pepe, mein lieber Gatte." Pitter begann zu verstehen, dass diese Maus hier nichts Böses im Sinn hatte. „Es wäre schön, wenn Du mir helfen könntest, aber Dein Mann ist gewiss besser geeignet, mir zu helfen, oder? So unter Männern klappt so etwas sicher besser."
„Wir helfen Dir alle gemeinsam. Dann geht das ganz fix. Dafür kannst Du uns ja etwas Feines aus dem Garten oder noch besser aus der Vorratskammer der Meiers besorgen. Na was hältst Du davon?" Pitter verstand nicht, was Lisa meinte. Er drehte seinen Kopf ein wenig und schaukelte mit den Fühlern, worauf seine Augen saßen, hin und her. Nach einigen weiteren Versuchen sich Pitter verständlich zu machen, hatte der endlich begriffen. „Ja das ist die Idee, freute er sich. Aber es dauert sehr lange, bis ich den Weg hin und zurück schaffe. Bis dahin hat meine Kriemhild längst einen anderen Bräutigam. Sie ist ja so schön, schwärmte er.
Lisa schob Pitter ein wenig an, um ihm zu zeigen, dass er mit ihr gehen sollte. „Ich will Dir zeigen, wo Du ein wenig schlafen kannst. Morgen haben wir bestimmt eine Lösung."
Lisa war bemüht, sich verständlich zu machen. Pitter begriff sehr schnell, was sie wollte. „Ja, sagte er, ich bin unendlich müde." „Hier unter dem Altar wird Dich niemand finden. Morgen früh reden wir weiter, ja?" Pitter nickte leicht und zog sich in sein Haus zurück.
„Gute Nacht bis morgen." flüsterte er noch und fiel in einen tiefen Schlaf.
„Kriemhild, Liebste!" rief er, als es plötzlich heftig an seinem Haus rüttelte. „Nein, ich bin es, Lisa! Schnell Du musst hier weg! Heute ist Sonntag!" Lisa rüttelte an Pitters Haus. „Der Pfarrer kommt gleich. Dennis hat schon seine Stullen bereitgelegt. Komm mit!" Lisa schob ihren Kopf unter Pitters Haus und schwuppdiwupp flitzte sie mit ihm auf dem Rücken in die Sakristei. Pitter wusste nicht, wie ihm geschah. „He! Hast Du sie noch alle der Reihe nach?" rief er nun in einer für ihn ungewöhnlichen Lautstärke. Nun war er hellwach und starrte Lisa an, nachdem sie ihn etwas unsanft abgeschüttelt hatte. „Geht das nicht etwas zarter?" fragte er.

 

 

„Wieso musst Du Dich auch so an mir festsaugen? Ich wollte schließlich keine drei Tage warten, bis du in die Gänge kommst." Lisa zeigte auf den Rucksack, der neben ihnen in der Ecke unter der Garderobe lag. „Da krabbelst Du jetzt hinein und rührst Dich nicht. Ich habe ein paar Luftlöcher für Dich da hinein geknabbert. Frag nicht, ich habe keine Zeit. Wir treffen uns heute noch bei Meiers. Dennis ist der Sohn des Hauses. Bis dann, Pitter! Bleib nun da drinnen!" sagte Lisa rasch, gab Pitter einen Schubs und zog mit aller Kraft an der Schnur, die den Rucksack verschloss. Dann schnappte sie sich die Nussnougatcreme, die sie sich schon von Dennis leckeren Sachen ausgesucht hatte.
Sie schob das Plastikschälchen in die andere Ecke des Raumes. Dort versteckte Lisa sich hinter der langen Gardine und schleckte genussvoll, bis es leer war. Puh! Das war echt viel! Lisa war pappsatt und konnte sich kaum noch bewegen. Aber schließlich ist es auch für einen guten Zweck. „Es ist anstrengend eine gutmütige Maus zu sein, dachte sie. Eigentlich könnte ich mein Leben auch ruhiger genießen. Aber wer weiß, wie lange Dennis meine Familie und mich noch versorgen wird. Man kann nicht früh genug an schlechtere Zeiten denken. Es ist nie verkehrt, wenn man weiß, wo es zur Not noch etwas zu futtern gibt. Ich staune selbst,wie klug ich doch bin!“

 

Lisa rappelte sich auf. Sie musste unbedingt ihre Familie in ihren Plan einweihen, schließlich sollte sie sich auch an der Überraschung für Kriemhild beteiligen.
Pitter erschrak. Plötzlich war es ganz finster um ihn geworden. Diese verrückte Maus hatte ihn doch tatsächlich in den Rucksack geschoben. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zu vertrauen. Was hatte sie nur vor? Pitter machte es sich vor einem der Luftlöcher so bequem, wie es irgend ging. Er beschloss, noch ein wenig zu schlafen und von seiner Kriemhild zu träumen.
Er wurde wach, als sich der Rucksack bewegte. Es schleuderte ihn in die andere Ecke des Stoffbeutels. „Ich glaube, das ist die Seekrankheit. Mir ist so übel, Herr Zwübel.“ dachte Pitter.
Dann machte es Schwupps und irgendetwas drückte fest auf sein Haus. Als wäre das noch nicht genug, rappelte und schaukelte alles hin und her. Pitter zog sich tief in sein Haus zurück und schwor: Wenn ich das überlebe verspreche ich, nur noch eine gute Schnecke zu sein.

 

Nach unendlich langer Zeit wurde es plötzlich ruhig. Der Druck auf seinem Haus löste sich und er wurde wieder in die andere Ecke des Rucksacks geschleudert.
„Ich will hier raus! Bitte, bitte lasst mich hier raus." weinte Pitter. Er wusste nicht mehr, was er machen sollte. Plötzlich wurde es hell und ein gellender Schrei erschreckte ihn: „Eine Schnecke, eine Schnecke. Jetzt kommen sie schon bis ins Haus. Nicht genug, dass sie mein Gemüsebeet kahl fressen. Frau Meier starrte Dennis an: „Wie kommt dieses Tier in Deinen Rucksack?"
„Das weiß ich auch nicht. Da muss mir einer der anderen Messdiener einen Streich gespielt haben.
Ich habe den Rucksack auf den Gepäckträger meines Fahrrads geschnallt. Hoffentlich ist die kleine Schnecke nicht verletzt."
Jule, die kleine Schwester von Dennis, die gerade so über die Tischkante schauen konnte, rief ganz verzückt. „Oh, Jule will streicheln! Dennis mach Deckel ab." Dennis schaute Jule an. „Aber Julchen das geht doch nicht." Jule weinte: „Julchen will aber, mach ab, mach ab."
Pitter erschrak und zitterte so sehr unter seinem Haus, dass es heftig wackelte. „Siehst du Jule, nun hast du das Tierchen erschreckt. Es hat Angst vor Dir. Das Haus geht nicht ab. Es ist angewachsen." „Ah so!" sagte Julchen jetzt. „Tut mir so leid, du klein Tierchen mit Haus. Komm ich tu dir nicht weh. Mama gib mir das. Ich bringe es raus ins Beet. Es hat bestimmt Hunger." „Hier, Julchen, sei vorsichtig. Aber bring es bitte nicht ins Gemüsebeet, mein gutes Gemüse." „Aber Mama, Du hast gesagt, man soll mit denen teilen, die nix haben, gell? Soviel kann das kleine Tierchen mit Haus nicht futtern. Wenn es satt ist, tu ich es zum Schlafen in mein Bett." „Oh nein Jule, das will die Schnecke nicht. Sie hat bestimmt ein eigenes Bett und wird zu Hause vermisst. Bring sie bitte raus. Sie soll doch nach Hause gehen können." „Ja schade, Mama. Jule lief hinaus in den Garten und setzte Pitter ganz sanft im Beet ab. „Gute Nacht kleines Tierchen. Viel Glück! Ich gehe jetzt auch schlafen, gell?"

 
Auf den Schreck hin musste Pitter erst einmal tief durchatmen. Er hatte großen Hunger und knabberte an einem Salatblatt, als es neben ihm raschelte. „Lisa! Ich habe nicht mehr geglaubt, dass ich dich noch einmal sehen würde.“ „Ich habe es dir doch versprochen und ich habe eine tolle Überraschung für Dich. Komm, steig auf meinen Rücken. Ich bringe Dich hin.“

 

„Lisa sei doch bitte nicht so grob!“ rief Pitter, als Lisa sich wieder unter ihn schob. „Du bist ja vielleicht eine Mimose, Pitter! Wir müssen uns beeilen. Es wird schon dunkel und meine Familie will auch wieder nach Hause. Es dauerte nicht lange bis Lisa so scharf bremste, dass es den armen Pitter automatisch absteigen ließ. Gott sei Dank kam er auf der richtigen Seite zum Stehen. Wenn Pitter nicht schon sowieso blass gewesen wäre, hätte man ihm den Schreck sicher angesehen.

 

„Lisa, Du bringst mich noch um!“ sagte er. Pitter schaute sich um. Er sah nur Maulwurfhügel und meinte: „Das ist sehr witzig Lisa. Was soll ich denn hier?“ Auf einmal bewegte sich etwas im Hügel direkt neben ihm. Max der Maulwurf streckte seine Nase hervor und schaufelte sich nach oben. Was ist denn hier los? Wer stört meine Kreise? Max suchte nach seiner Brille. „Wo ist sie denn nur, wo ist sie denn..?“ murmelte er. Pitter sagte: „Du hast sie doch auf der Nase, Max.“ „Für Dich bin ich immer noch Max von Mundschmiss, nicht wahr?! Du weißt, dass ich von altem Adel bin. Normalerweise lasse ich mich gar nicht dazu herauf, mit Leuten außerhalb meiner Kreise zu sprechen. Was ist das für ein Hügel da? Der ist nicht von mir. Das ist eine Unverschämtheit. So etwas Schönes verschandelt meine Gegend.

 

Lisa stellte sich vor Max und sagte sanft: „Aber lieber Herr Max von Mundschmiss. Diesen Hügel haben meine Familie und ich hierher gebaut. Wir bitten Sie inständig, das zu genehmigen. Leider hat uns die Dringlichkeit nicht erlaubt, vorher ihre Erlaubnis einzuholen. Dieser Hügel soll das Haus für zwei Liebende sein. Wir haben es stabil gebaut und zum Schutz vor Angriffen als Maulwurfshügel getarnt. Sehen sie, hier ist eine Tür und an der Seite ist ein Fenster. Meine Tochter Lilo hat Gardinchen daran genäht. Und mein Sohn Pepe Junior hat ein Bettchen gezimmert, das ich mit Moos schön weich und warm ausgelegt habe. Mein Mann hat den Weg und die Terrasse angelegt. Wir wissen doch, dass Sie das bestimmt unterstützen. Hier mein Freund Pitter wollte für sein Kriemhildchen ein Haus bauen, damit seine Eltern ihre Liebe erlauben. Eine Schwiegertochter ohne Haus hätten sie nie angenommen. Also was sagen sie nun? Bitte geben sie den beiden eine Chance.“ „Hm, hm, brummte Max, da will ich nochmal Fünfe gerade sein lassen. Ich war ja auch einmal jung und sooo verliebt. Also, seid herzlich willkommen bei mir. Auf gute Nachbarschaft.“

 

Pitter staunte nicht wenig, als er hörte, was Lisa da erzählte. Er fing vor Freude an zu stottern: „Da- da- das ka kann nicht wahr sein. Wie wie ha ha habt Ihr das gemacht?“

 

Lisa drehte sich zu Pitter und erzählte: „Zuerst habe ich die Nussnougatcreme von Dennis aus dem Schälchen entfernt. Ich musste die Schale ganz sauber ausschlecken. Das war vielleicht eine mühevolle Arbeit.“ Pepe hielt sich den Bauch vor Lachen: „Haha, meine Lisa, mühevolle Arbeit Nussnougatcreme, hihi soo eine Zumutung für meine Naschkatze äh -maus.“

 

Lisa erzählte unbeirrt weiter: „Meine Lieben haben mir geholfen, Fenster und Türen in die Schale zu knabbern. Am Transport hierhin waren auch alle beteiligt. Und dann haben wir Dein Kriemhildchen gefragt, wie sie sich die Einrichtung wünscht. Sie wollte ein kuscheliges Moosbett und das habt ihr nun. Damit Euch niemand stört, wurde die Nussnougatschale von außen, wie ich eben bereits erzählt habe, getarnt.“

 

Pepe rief: „Lisa, nun komm! Wir müssen nach Hause. Pitter kann uns ja morgen die Speisekammer von Meiers zeigen.“ „Ja, sagte Lisa, Du hast Recht. Es war ein langer Tag und wir sind alle müde.“ Pitter, geh schnell in Dein Haus und begrüße Dein Kriemhildchen. Soll ich Dich anschupsen? Dann geht es schneller.“

 

„Ach Lisa, grinste Pitter, das kann ich auch alleine. Ich bin eine Schnecke und keine Rakete. Noch einmal vielen, vielen Dank Euch allen. Ich freue mich auf Euren Besuch morgen. Kommt gut nach Hause und schlaft schön. Pitter konnte sein großes Glück kaum glauben. Er ging zu Kriemhild, die ihn bereits sehnsüchtig erwartete und mit strahlenden Äuglein begrüßte.

 

Max von Mundschmiss winkte freundlich und wünschte allerseits eine gute Nacht, bevor er in seinem Hügel verschwand.

 

 

 

ENDE

 

Info zu Pitters Geschwindigkeit:

 

Die in unseren Gärten vorkommende Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa) kann 3 Meter pro Stunde, also 0,003 km/h, schnell kriechen. Das ist nicht sehr schnell. Da die Weinbergschnecke aber nur Pflanzen frisst und durch eine dicke Schale geschützt ist, reicht es ihr offenbar aus.

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Adebar

Die Großmama nahm ihre Brille ab und schaute sich fragend um.
„Was ist, warum liest Du denn nicht weiter, Oma Fränzchen?“ fragte Irmi. Sie rutschte unruhig auf ihrem Schemel hin und her. Es ist doch gerade so spannend.
Die Großmutter hieß natürlich nicht wirklich Fränzchen, aber sie wurde schon lange ncht mehr Franziska gerufen.
Man kennt sie nur als Fränzchen. Ich glaube, es war Großpapa, der damals seiner große Liebe diesen Namen gab, sozusagen als Kosenamen, wie andere ihre Liebste Schätzchen, Mausi, Häschen oder auch anders nannten. Fränzchen, so hieß sie dann auch später noch für die ganze Familie. Irmi fragte einmal wieso Omi einen Männernamen hatte und ließ es sich von ihrer Mama erklären.
„Omi, Omilein, was hast Du denn?“ wiederholte Irmi ihre Frage. „Ja, hast du denn nicht das Klopfen gehört? Eben gerade habe ich auch einen Schatten am Fenster gesehen.“ Irmchen machte große Augen und fragte: „Wirklich? Ich habe nichts gehört und gesehen.“ „Hm,- dann habe ich mich wohl geirrt." murmelte Fränzchen und setzte Ihre Brille wieder auf. Sie nahm das Märchenbuch zur Hand und blätterte darin, um die Seite wiederzufinden, bei der sie eben unterbrochen wurde. Aschenputtel war das Lieblingsmärchen ihrer Enkelin und Fränzchen konnte es inzwischen beinahe auswendig aufsagen. „Die beiden Stiefschwestern waren so gehässig zu Aschenputtel...“ las die Großmama nun weiter und Irmchen hörte aufmerksam zu, obwohl sie das Märchen fast noch viel besser kannte, als ihre Oma.
Dann hörte sie es auch. Dreimal hatte es geklopft und ein Rascheln war auch zu hören. „Da ist es wieder.“ flüsterte die Großmama. Sie nahm die Brille ab, legte das Buch zur Seite und erhob sich langsam aus ihrem Sessel. Gespannt schaute Irmi zu, wie ihre Oma zum Fenster ging, die Gardine zur Seite schob und durch die Scheibe nach draußen schaute. Aber außer ihrem eigenen Spiegelbild konnte sie nichts erkennen. Es war Abend und jetzt, so kurz vor Weihnachten, schon sehr früh dunkel. Fränzchen öffnete den Fensterflügel und streckte ganz langsam und vorsichtig ihren Kopf nach draußen. Nichts war mehr zu sehen. Doch als sie gerade das Fenster wieder schließen wollte, entdeckte sie auf der Fensterbank eine weiße Feder und einen Zettel. Sie nahm beides an sich, schloß das Fenster und drehte sich um.
Irmchen hatte nichts mehr auf ihrem Hocker gehalten. Sie stand ganz nah neben ihrer Großmama. Ihre Wangen waren gerötet und sie schnatterte drauflos: “Was steht denn da auf dem Zettel, Oma? Lies doch mal vor.“ Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und schaute an Oma hoch. „Gib mir bitte meine Brille, Kleines sonst kann ich nichts richtig erkennen.
Liebe Oma Fränzchen, las Oma vor. Du weißt am besten, wie es in der Weihnachtszeit bei uns zugeht. Gestern sah ich ein Stück Zucker auf der Fensterbank und möchte mich nun vergewissern, ob es tatsächlich das bedeutet, was ich daraus zu erkennen glaube. Möchte Euer Irmchen wirklich ein Geschwisterchen? Du musst verstehen, dass ich das genau wissen muss, denn wenn es einmal da ist, könnt ihr es nicht mehr zurückgeben. Auch ein Umtausch ist ausgeschlossen. Bitte legt mir morgen abend zwei Stückchen Zucker auf die Fensterbank, wenn es wirklich Euer unumstößlicher Wunsch ist.
Ich werde mich dann bemühen, diesem Wunsch so schnell wie möglich nachzukommen, aber bedenkt bitte, dass ich es nicht garantieren kann, ob und wann es klappen könnte. Auch ob es ein Schwesterchen oder ein Brüderchen werden wird, kann ich nicht sagen. Ihr wisst ja, manchmal gibt es halt Engpässe bei dem ein oder anderen Geschlecht. Ich grüße Euch herzlich und erwarte dann morgen Eure Reaktion. Wenn ihr mir nichts auf die Fensterbank legen solltet, gehe ich davon aus, dass sich diese Anfrage erledigt hat.
Euer Adebar (Klapperstorch von Beruf)
Irmchen war ganz rot geworden und drehte sich ab, damit ihre Großmama nicht bemerken sollte, wie verlegen sie war. Aber vor Fränzchen konnte man nichts geheim halten. Das hatte der Opa schon immer vergeblich versucht. Irgendwie hatte die Omi eine gewisse Gabe, dachte Irmi und schon hörte sie, wie die Omi fragte: „Sag mal Kind, hast du ein Stück Zucker auf die Fensterbank gelegt und weißt du was das bedeutet?“ Irmchen räusperte sich und dachte angestrengt nach, wie sie um eine Erklärung herumkommen könnte. Aber es war zwecklos, Oma Fränzchen fragte noch einmal. „Jetzt mal raus mit der Sprache! Du weißt doch, dass du mir alles erzählen kannst und wenn du es willst, werde ich niemandem auch nicht ein Sterbenswörtchen verraten.“ „Oh Omili, du hast Recht, wie gerne hätte ich ein Schwesterchen oder ein Brüderchen. Ich bin doch so einsam.
„Aber Irmchen, du bist doch nicht einsam. Ich bin doch immer für dich da, auch wenn Mama und Papa einmal keine Zeit für dich haben. Das weißt du doch. Komm wir setzen uns jetzt nochmal hin und überlegen, was wir mit dem Klapperstorch machen. Er möchte ja bis morgen eine Antwort haben.“ „Och Omi, das ist doch ganz einfach. Wir legen zwei Stückchen Zucker hin und schreiben auf, dass es ganz egal ist, ob er ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bringt. Hauptsache ich bekomme Gesellschaft. Das hat nichts mit dir zu tun. Dich hab ich doch immer lieb, Omili.“ „Nun, ganz so einfach geht das aber nicht. Wir müssen doch wissen, ob Mama und Papa auch einverstanden sind. Wir fragen sie am besten nachher, wenn sie beide zuhause sind, ja?“ „Gut abgemacht und jetzt musst Du mir aber unbedingt weiter vorlesen, sonst weiß ich gar nicht, ob der Prinz seine Prinzessin findet.“ „Haha lachte die Oma. Du bist mir ein kleiner Schelm. Also weiter:. als Aschenputtel auf dem Ball getanzt hatte und der Prinz wissen wollte, wer sie war, lief sie flink davon und verlor dabei auf der Treppe...“ „Oma Fränzchen, Irmchen seid ihr da oben?“ rief jemand vom unteren Treppenabsatz zu ihnen empor.
Irmchen sprang auf und flog fast die Treppe hinunter. Sie landete bei ihrer Mama in den Armen. „Mamili, da bist Du ja endlich! Wo ist der Papa? Wir, wir müssen euch etwas fragen und etwas ganz Wichtiges erzählen!“ sprudelte es aus ihr heraus. „Langsam, langsam, was habt ihr beiden denn schon wieder ausgeheckt?
Warte, Papa kommt schon. Ich höre das Gartentor. Ich habe auch eine Neuigkeit.“ sagte die Mutter.
„Oh, was denn? Erzähl bitte, bitte, jetzt sofort.“ Irmchen hüpfte um ihre Mutter herum und wollte unbedingt alles sofort wissen. „Irmchen, komm einmal rauf!“ rief die Oma. „Ich brauche dich hier ganz dringend.“ „Ja, ja, gleich!" rief Irmchen. „Hat das noch ein wenig Zeit? Mama hat eine Neuigkeit. Die muss ich jetzt unbedingt erfahren.“
„Lass mal die Mama erst den Papa begrüßen und ankommen. Wir werden gleich Abendbrot haben. Dann gehen wir gemeinam hinunter. Du wirst es bestimmt solange aushalten, du kleineVorwitznase.“ „ Omi Fränzchen hat Recht, Irmchen. Lauf, wir erzählen uns alles beim Abendessen ja?“ „Gut, meint das Kind und zieht eine kleine Schnut. Wenn es unbedingt sein muss.“ Irmchen drehte sich um und kletterte die Treppe hinauf zu Omi Fränzchen. „Na, komm kleines Teufelchen, wir werden uns jetzt schön gedulden. Kommt Zeit, kommt Rat.“ sagte die Omi. Oma hatte für alles einen weisen Spruch und Irmchen staunte immer wieder, was sie alles wusste.
Es ist doch so schön, wenn man eine Oma hat. Schade, dass der Opi nicht mehr bei ihnen war. Omi hat ihr erzählt, Opi muss alles vorbereiten, da oben, damit sie es schön haben, wenn die Omi zu ihm zieht.
Trotzdem hatte Irmchen gemeint, es wäre überhaupt nicht nötig, dass die Großeltern ausziehen.
Das wirst du schon verstehen, wenn Du groß bist, hatte die Oma gesagt. Naja wer hat den gesagt, dass ich groß werden will, hatte Irmchen erwidert. Ich finde es richtig prima so wie es ist.
Die beiden setzten sich noch einmal hin und widmeten sich Aschenputtel. Es dauerte nicht lange, da rief die Mutter zum Abendbrot. Irmchen zappelte sowieso schon ungeduldig auf Omas Schoß herum.
„Komm schnell Omi, wir müssen runter!" rief Irmchen und zog an Omas Ärmel. „Langsam, langsam, ich bin doch kein D-Zug." sagte die Oma lächelnd.
Dann war es endlich soweit. Irmchen hatte ihr Brot ganz schnell hinuntergeschlungen. Mit noch vollem Mund rief sie: „Fertisch! Jetzt erzähle es uns bitte, Mama. Wann habt Ihr denn endlich genug gefuttert?“ „Du bist ein richtiger kleiner Racker.“ sagte die Mutter. „Da muss ich mir doch überlegen, ob ich dem Klapperstorch nicht doch noch absage."
Der Vater antwortete: „Das geht doch nicht mehr, Schatz. Bestellt ist bestellt und das Kleine ist doch schon unterwegs!“
Alle grinsten verschmitzt und schauten auf Irmchen, das mit offenem Mund und ganz großen Augen da stand. Dann hüpfte es auf Mutters Schoß und drückte sie ganz fest. „Hurra, Hurra! rief sie.
Adebar bringt mir ein Geschwisterchen. Hast Du gehört Oma Fränzchen? Dann können wir ihm das Aschenputtel gemeinsam vorlesen."

ENDE